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2009/12/03

Presseecho - 03.12.2009

Studium braucht Freiheit - Votum gegen die Verschulung

Coburg - Auch nach drei Wochen "Bildungsstreik" ist bei den Studierenden an der Hochschule Coburg noch keine Streikmüdigkeit zu spüren. Bei der Live-Aufzeichnung der Fernsehsendung "Coburg konkret. Der Talk der VR-Bank" durch TV Oberfranken am Mittwoch im Haus Contakt gab sich Studentensprecher Pascal Bächer, von Beifallskundgebungen aus dem überwiegend studentischen Publikum angefeuert, auf dem Podium kämpferisch: "Wir werden weitermachen, bis unsere Aktionen Wirkung zeigen und sich erkennbar etwas bewegt." Die Studierenden halten derzeit den größten Hörsaal der Hochschule Coburg besetzt. Wenn die Aktionen sich hinzögen, erwäge man den Kauf eines Weihnachtsbaums, unterstrich Bächer den Willen zum Durchhalten.

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"Bildung muss unabhängig vom Geldbeutel der Eltern sein." - Barbara Kern
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Das Verhältnis der Protestierenden zur Hochschulleitung ist in Coburg bisher recht entspannt. Hochschulpräsident Prof. Dr. Michael Pötzl: "Die Grundanliegen der Studenten teile ich." Es gebe tatsächlich Defizite im Bildungssystem und Nachbesserungsbedarf im Bologna-Prozess. Pötzl warnte aber auch: "Man darf das Kind nicht mit dem Bade ausschütten." Und er sagte zu: "Was wir in Coburg lösen können, das werden wir schnell und im Dialog lösen." Aber natürlich könnten vor Ort nicht die Probleme aus der Welt geschafft werden, die von der Politik gelöst werden müssten. Gleichzeitig appellierte der Präsident an die Einsicht der Studenten, mit dem Protest nicht übers Ziel hinauszuschießen. Die Besetzung des größten Hörsaals wird bisher von der Hochschulleitung toleriert, obwohl, wie Pötzl betonte, der Lehrbetrieb dadurch empfindlich eingeschränkt sei. Positiv würdigte der Präsident allerdings das Bemühen der Studenten, selbst Alternativen zu organisieren, damit nicht zu viele Lehrveranstaltungen ausfallen.


Bei Coburg konkret, dem TV-Talk der VR-Bank, erfuhren die Studenten für ihre Anliegen viel Zustimmung. Am Podium (von links) die Studentenvertreter Pascal Bächer und Barbara Kern, die Moderatoren Wolfgang Braunschmidt und Frank Ebert sowie Hochschulpräsident Michael Pötzl und Frieder Löhrer, Vorstandsvorsitzender der Loewe AG.

Was treibt die Studenten seit Wochen in ganz Deutschland auf die Straße? Mit ihren Fragen gelang es den Moderatoren der Sendung, Frank Ebert (TVO) und Wolfgang Braunschmidt (Neue Presse), die studentischen Anliegen gewissermaßen auf den Punkt zu bringen. "Bildung muss für jeden zugänglich sein, unabhängig vom Geldbeutel der Eltern", gab Barbara Kern, Studentenvertreterin im Senat der Hochschule, einer wesentlichen Forderung Ausdruck. Das Argument von Politikern, die Studiengebühr führe keineswegs zu sozialer Ausgrenzung, will sie nicht gelten lassen. Die "finanzielle Hürde", sekundierte ihr Kommilitone Pascal Bächer, Studentensprecher der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, sei unbestreitbar, das Hochschulsystem in Deutschland eindeutig unterfinanziert. Er räumte jedoch ein, dass über die Verwendung der Mittel mit der Hochschulleitung in Coburg ein konstruktiver Dialog bestehe. Bächer: "Wir wollen, dass die Studienbeiträge abgeschafft werden. Aber solange es sie gibt, setzen wir uns dafür ein, dass sie zumindest für die Verbesserung der Studienbedingungen eingesetzt werden."

Laut Pötzl betragen die Einnahmen aus der Studiengebühr an der Hochschule Coburg jährlich rund zwei Millionen Euro und machten einen "signifikanten Teil" des Personalbudgets aus. Pötzl sieht in der Studiengebühr im Übrigen einen positiven Nebeneffekt. Wer für eine Dienstleistung zahle, der werde auch sehr viel bewusster einen Anspruch auf Qualität formulieren. Die aktuellen Studentenproteste seien dafür ein Beleg. Freilich geht es den Studenten nicht allein um die Studiengebühr. Zu wenig Lehrpersonal, überfüllte Hörsäle, mit Inhalten überfrachtete, auf vermeintliche Wirtschaftsinteressen ausgerichtete und zunehmend verschulte Studiengänge sind ihnen ein Dorn im Auge. "Wir wollen nicht zu Fachidioten ausgebildet werden", polterte Bächer. Und: "Zum Lernen brauchen Menschen Zeit und gegenseitigen Austausch. Was heute stattfindet, ist Bulimie-Lernen." Will sagen: Die Verschulung der Studiengänge führe dazu, dass schnell Prüfungswissen gepaukt wird, dass dann ebenso schnell wieder aus den Köpfen verschwinde. Schützenhilfe für ihre Argumentation erhielten die Studenten von Frieder Löhrer, Vorstandsvorsitzender der Loewe AG, Kronach. Ein verschultes Hochschulsystem sei keineswegs im Interesse der Industrie, denn "Verschulung ist Bevormundung". Löhrer: "Wir brauchen Mitarbeiter, die gelernt haben, selbstständig und kritisch zu denken."

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"Kleine Hochschulen haben Vorteile. Man braucht kein Fernglas, um den Professor zu sehen." - Michael Pötzl
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Nicht möglichst viel Wissen sei entscheidend. Wichtiger seien Methodik, soziale Kompetenz und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Er, Löhrer, unterstütze die Forderungen der Studenten voll und ganz. Allerdings: Die mit dem sogenannten Bologna-Prozess angestoßene Reform habe durchaus positive Aspekte. Dass der Bachelorabschluss den Absolventen früher in die Arbeitswelt führe, sei ebenso sinnvoll wie die Trennung zwischen Bachelor und Master, eröffne sie doch die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Masterstudiums. Auch Präsident Pötzl will den Bologna-Prozess nicht generell in Frage gestellt sehen, immerhin sei diese Reform erstmals aus der Perspektive der Studenten her entwickelt worden und fördere die Mobilität innerhalb des europäischen Hochschulraums. Allerdings: Bedarf an Nachbesserung gebe es durchaus. Wobei wiederum auch nicht alle Probleme mit Geld allein gelöst werden könnten.


Auch mit Spruchbändern und Transparenten machten die Studenten der Hochschule Coburg bei der Fernsehaufzeichnung im Haus Contakt auf ihre Anliegen aufmerksam.

Notwendig sei vor allem ein Bewusstsein dafür, dass für eine Exportnation ohne eigene Rohstoffe Bildung die wichtigste Ressource überhaupt sei. Pötzl: "Wir brauchen eine Kultur, die Lust auf Bildung macht." Und er betonte, dass die kleinen Hochschulen durchaus ihre Vorzüge hätten. Natürlich habe auch Coburg, gerade jetzt in der Umbauphase, mit Raumproblemen zu kämpfen. Aber die Laborgruppen etwa seien überschaubar und würden intensiv betreut. Pötzl launig: "In Coburg braucht man noch kein Fernglas, um den Professor sehen zu können." Nicht nur Barbara Kern glaubt, dass der Bildungsstreik keine vergeudete Zeit ist. Auch Pötzl und Löhrer äußerten in ihrem Fazit die Überzeugung, dass die Wirkung auf die Politik nicht ausbleiben wird.


Quelle: www.np-coburg.de